Das Design des Mercedes-Benz Future Bus mit CityPilot

Am 18. Juli 2016 feierte der Mercedes-Benz Future Bus mit CityPilot in Amsterdam seine Weltpremiere. Wir haben das für den Bus verantwortliche Design-Team besucht, um Ihnen einen Einblick in den Entstehungsprozess und die Design-Ideen, die dem Fahrzeug zugrunde liegen, zu verschaffen. 

Skizzen, Stifte, Stoffe – der Tisch vor uns liegt voll damit. Um ihn herum sitzen mit uns noch Cordula Lambert, Eva Müller, Mathias Lenz, Pieter Ketele und Vincent Thess. Uwe Jauch hängt weitere Skizzen an die Wand. Wir sind im Designbüro von Daimler Buses, weil wir von den Designern des Future Bus persönlich erfahren wollen: Was hat es mit der Gestaltung des Busses auf sich? Was ist das Besondere an ihm? Wovon haben sie sich inspirieren lassen?

Eva Müller: „Mir lag besonders am Herzen, die Kunden zu überraschen und zu zeigen, dass man auch mal eine Runde mehr durch die Stadt drehen kann. Es sollte auf jeden Fall jugendlicher werden. Ich denke das ist gelungen.“

Pieter Ketele: „Man muss die Zukunft selber machen. Das kann man nur, indem man etwas zur Diskussion stellt. Der Bus ist sehr luxuriös, das ist uns klar, aber das Ziel des Projektes war es nie, nur einen schönen Bus darzustellen."

Cordula Lambert: „Wir hatten bei dem Projekt die Idee, dass man den Stadtbus frech und urban darstellt. Trotzdem sollte der Nutzen nicht zu sehr in den Hintergrund treten."

Vincent Thess: „Mir gefällt besonders gut, dass man nicht das Gefühl hat, zwei Designer wären am Werk gewesen. Der Bus ist eine Einheit, man kann ihn von außen nach innen und von innen nach außen betrachten. Man spürt, dass es eine Formsprache ist.“

Uwe Jauch: „Die Herausforderung war sicherlich der Spagat zwischen Vergangenheit und Zukunft des Stadtbusses. Wir wollten einen Ausblick geben: Wie könnte ein Fahrzeug unserer Marke im Jahr x aussehen?"

Mathias Lenz: „Wir zeigen hier Ideen für den Stadtbus der Zukunft und das Ziel ist, dass wir möglichst viele Ideen in Zukunft auch in unseren Bussen sehen werden.“

Der Future Bus fällt auf - direkt auf den ersten Blick. Wie kamen Sie auf das außergewöhnliche Design?

Thess: Wir wollen mehr Organik in den Stadtbus bringen, der in sich ein sehr technisches Objekt ist. Wir wollen ein Erlebnis von Innen und Außen schaffen. Man wird nicht transportiert. Man erlebt etwas. Das war das Ziel. Da wollten wir hin.

Jauch: Wir haben uns dazu gefragt: Was tut sich im urbanen Bereich? Wie sehen die Städte aus? Was fällt an der Architektur auf? Das Fahrzeug ist ein ganz neuer Denkanstoß, wie der Stadtbus in ein paar Jahren vielleicht aussehen könnte.

Lenz: In der Stadt fährt kaum jemand freiwillig Bus. Die meisten Menschen müssen Busfahren. Wir wollen das ändern. Die Passagiere sollen sagen: 'Da will ich mitfahren.'

Werden wir den Zukunftsbus bald auf der Straße sehen?

Thess: Der Zukunftsbus ist eine Vision von den Dingen, die wir gerne umsetzen würden und ich bin mir sicher, dass man bei den zukünftigen Stadtbussen aus unserem Hause denken wird: Das habe ich schon mal gesehen. Aber natürlich spielt das Thema Kosten eine große Rolle bei der Frage, welche Features wir tatsächlich wiedersehen und welche eher nicht.

Müller: Das Color&Trim basiert zum Beispiel hauptsächlich auf dem Grundgedanken, bewährte Bus-Materialien aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Wir sprechen die Fahrgäste auf eine eher unterbewusste Art an. Da spielen Haptik, Form und Farbe eine große Rolle. Mit der Liebe zum Detail wurden Akzente gesetzt und erfrischende Muster kombiniert, wie zum Beispiel bei dem Deckenhimmel oder dem PVC-Boden. Da können schon kleine Änderungen eine große Wirkung haben.

Ein Ausschnitt des Bodens, von dem Eva Müller hier spricht, liegt vor uns auf dem Tisch. Er ist einer Eisfläche nachempfunden. Das gesamte Businterieur ist an das Thema Park angelehnt - ein öffentlicher Raum, in dem man gerne Zeit verbringt.

Thess: Hier darf man auch die Kundensicht nicht vergessen. Vielleicht sieht der Kunde etwas im Future Bus und wünscht sich das dann auch in anderen Bussen.

Zum Beispiel?

Thess: Zum Beispiel die asymmetrische Decke. Die fällt vielleicht nicht auf den ersten Blick auf, ist aber ein absolutes Novum. Bisher sind alle Stadtbusse symmetrisch designt, obwohl das Fahrzeug schon allein wegen der Türenanordnung asymmetrisch ist. Wir haben das in dem Design der Decke mit aufgenommen und sie zweigeteilt.

Auf der Fahrerseite ist die Decke weiß gehalten, während sie auf der anderen Seite aus hellgrauem Stoff mit gelben Schnittflächen besteht. Auch einen Ausschnitt des Stoffes haben die Designer für uns bereitgelegt. Man erkennt, dass diese Decke echte Handarbeit ist. Die deckenhohen und dreieckig geformten Haltestangen verästeln sich hin zu der Deckenbeleuchtung, die an ein Blätterdach erinnert. Das Parkthema wird hierbei durch die Optik von Bäumen wieder aufgenommen.

Thess: Ein weiterer Aspekt sind die Sitze. Ob sie in Zukunft genauso aussehen werden? Wahrscheinlich eher nicht, aber die Formsprache könnte übernommen werden.

Die weiß glänzenden Sitzschalen mit gepolsterter Sitzfläche erinnern mit ihrer Form an bekannte Designersessel. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass die Rückenlehne auf der Rückseite im gleichen Gelb gehalten ist wie die Schnittflächen der Decke.

Welche Designinnovation liegt Ihnen besonders am Herzen?

Lambert: Bei mir ist es die Stoffdecke mit dem farbigen Akzent. Das eher hintergründige Aufgreifen der Farbe erkennt man auch daran, dass die Sitzwannen nur rückseitig farbig sind. Normalerweise sind es die Sitze, die farblich herausstechen. Wir wollten das umdrehen. Außerdem hat das Interieur viel mehr Möbelcharakter als bei traditionellen Bussen. Man hat nicht die Seitenwand und dann die einzelnen Stühle, sondern vielmehr eine Landschaft.

Müller: Unser Ziel war es, dass das gesamte Interieur überrascht, wenn man den Bus betritt. Man sieht diesen Eisboden und ist vielleicht erst einmal irritiert. Und dann entdeckt man erst peu à peu den ganzen Raum. Wenn man sitzt, erkennt man zum Beispiel, dass die Decke zur Hälfte aus Stoff besteht und ganz anders aussieht als in anderen Bussen. Das ist absolut neu.

Thess: Ich finde außerdem die Symbiose von Interieur und Exterieur sehr gelungen. Wir haben keine Hülle mit Formsprache A und einen Inhalt mit Formsprache B. Das ist gemeinsam gewachsen. Das Fahrzeug ist transparent.

Jauch: Ich denke, dass wir es gut geschafft haben, das Design bisheriger Stadtbusse aufzugreifen und weiterzuentwickeln. Außerdem finde ich spannend, dass man sich ein bisschen löst von dem klassischen Onebox-Design des Omnibusses. Wir haben fließende Themen, die sich von außen nach innen fortsetzen. Zudem ist die Asymmetrie von Front und Heck etwas ganz Neues.

Auf einer Skizze können wir sehen, dass die Frontpartie des Busses an bekannte Merkmale älterer Modelle erinnert. So erkennt man zum Beispiel die gewölbte Windschutzscheibe des Citaro Ü oder die klassische Formsprache unterhalb der Windschutzscheibe des O 303. An den Seitenwänden orientiert sich der Bus an der Stadtarchitektur und bietet dem Auge damit unterschiedliche Formen.

Ketele: Mir gefällt das Zusammenspiel des gesamten Designs. Es gibt ein paar Sachen, die sieht man im Exterieur und man fragt sich, was das soll. Wenn man ins Fahrzeug geht, wird es ersichtlich.

Lenz: Ich finde besonders spannend, wie wir mit Licht gespielt haben. Sowohl im Interieur als auch im Exterieur. Die klassische Kühlermaske ergibt sich jetzt durch Licht. Man sieht die Paddel, wie wir sie nennen, als Lichtsigné. Wenn die Scheinwerfer richtig leuchten, dann sehen sie aus wie die Rundscheinwerfer der Nutzfahrzeuge in den 70er und 80er Jahren. Wenn man sich das Heck anschaut, kann man die altbekannte Rippenleuchte erkennen. Die gab es früher schon bei Mercedes. Wir haben zudem auch an der Seite eine Lichtsignatur, die den Fahrmodus darstellt. Wenn der Bus teilautonom fährt, leuchtet er an der Seite blau.

Weshalb war das wichtig?

Jauch: Es hat eine Signalwirkung für die Umgebung. Es ist sehr wichtig, dass die Interaktion zwischen Fahrzeugen, die teilautonom fahren, und solchen, die nicht teilautonom fahren, funktioniert.

Glauben Sie, das könnte die Leute auch verunsichern?

Thess: Das teilautonome Fahrzeug ist viel sicherer unterwegs als das manuell gesteuerte Fahrzeug. Wir werden lernen müssen, den Maschinen zu vertrauen, weil die es besser können als wir. Auch den Passagieren wird innen durch Licht kommuniziert, in welchem Fahrmodus wir uns befinden.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Bus und dem Ausstellungsort Amsterdam?

Lambert: Der Zukunftsbus ist voller Emotionen. Normalerweise ist der Stadtbus weniger emotional als der Reisebus. Wir wollten das ändern, indem wir visuelle Reize schaffen. Amsterdam hat uns dabei inspiriert, weil die Stadt lebendig, frech und unkompliziert, aber gleichzeitig voller alter Architektur und Geschichte ist. Dieser Kontrast war spannend.

Würde der Bus dennoch überall auf der Welt funktionieren? Oder ist das ein europäischer Bus? Ein niederländischer?

Ketele: Wir hoffen, dass er überall funktioniert. Die Formsprache ist international. Dennoch sind manche Akzente, die wir gesetzt haben, eine Reminiszenz an das Gastgeberland und die Gastgeberstadt.

Wir haben darüber unter anderem auch nachgedacht, weil die Sitzanordnung ja sehr speziell ist. Man schaut sich direkt an. Das passt vielleicht eher zu der offenen und kommunikativen Art der Niederländer als zu anderen Kulturen.

Thess: Die erste Idee war tatsächlich, dass alle raus schauen. Da wird man aber beim Einsteigen erstmal mit dem Rücken der anderen Fahrgäste konfrontiert. Das entsprach nicht unserer Vorstellung eines neuartigen Erlebnisses.

Lenz: Wir leben in einer digitalen Welt, aber manchmal macht es auch Sinn, analog zu kommunizieren. Wenn man sich gegenüber sitzt und sich ansehen kann, steigert das auch die Attraktivität.

An dem Sitzlayout fällt außerdem auf, dass es weniger Sitzplätze gibt. Wie passt das mit dem Megatrend Urbanisierung zusammen?

Lenz: Das Fahrzeug ist ein 12-Meter-Solofahrzeug und vom Innenraumlayout so ausgelegt, dass wir 16 Sitzplätze haben. Das ist zwar eine relativ kleine Bestuhlungsvariante, aber wenn wir den Bus optimal ausnutzen, passen wie in ein Standardfahrzeug 70 bis 80 Passagiere rein.

Der Fokus liegt also eher auf stehenden Passagieren?

Lenz: Wir haben den Bus in drei Zonen aufgeteilt. Zum einen haben wir den Expressbereich für das schnelle Ein- und Aussteigen. Aber es gibt auch den Servicebereich und den Loungebereich. Das ist eher für Personen, die zehn Stationen oder mehr fahren. Wir haben unseren Fokus bewusst auf die Anforderungen der einzelnen Fahrgäste erweitert.

Ein weiterer Aspekt ist die neue Türenanordnung in dem Zukunftsbus. Weshalb haben Sie sich dazu entschieden, die Türen in der Mitte zu positionieren?

Thess: Statt zu versuchen, einen Fluss von vorne nach hinten aufzubauen, was häufig nicht funktioniert, ist unsere Idee, einen Brunnen zu bauen. Man hat zwei große Türen, die ein geordnetes Chaos ermöglichen wie man es vielleicht aus einem großen Kirchenportal kennt. Durch eine Ampelanlage wird angezeigt, durch welche Tür ich den Bus betreten kann. Außerdem haben wir nicht mehr das Bedürfnis, die Tür vorne zu haben, damit der Fahrer die Tickets kontrollieren kann. Das übernimmt das E-Ticketing-System.

Um sich richtig wohlzufühlen, sind auch Unterhaltungselemente sinnvoll. Gibt es solche in dem Bus?

Lenz: Es gibt zum einen WLAN, zum anderen haben wir auf den Radläufen Induktionsladeschalen eingeplant. Hier kann man sein Handy oder seinen Laptop laden. Zur Informationsbeschaffung gibt es zwei große Monitore im Expressbereich. Das sind nur Beispiele, die natürlich noch weiter ausgebaut werden könnten.

Durch den Wegfall des Einganges beim Fahrer und den Autopiloten haben sich auch neue Möglichkeiten für das Cockpit ergeben. Was hat sich verändert?

Thess: Der Fahrer soll weiterhin aufmerksam den Verkehr verfolgen. Aber es ist kein Eingangsbereich mehr, sondern ein Verweilbereich. Wir wollten Großzügigkeit zeigen und eine Ecke, wie es sie bisher im Bus noch nicht gegeben hat. Außerdem trägt das offene Cockpit auch zur Transparenz bei. Ich kann sehen, ob der Fahrer fährt oder nicht.

Lenz: Es geht uns darum, Denkmodelle darzustellen. Ziel ist es nicht, den Fahrer wegzurationalisieren, sondern dem Fahrer eine Aufgabe zu geben. Wir wollen einen Fahrer haben. Seine Aufgabe ist jetzt die des „Carkeepers“. Er passt auf das Fahrzeug auf. Aber er passt auch auf die Fahrgäste auf und ist für sie da. Wir wollen nicht, dass das Fahrzeug ohne Fahrer unterwegs ist. Das ist ein anderer Ansatz als ihn andere Unternehmen haben.

Nach dem Gespräch gehen wir in die Werkstatt. Hier hängen Stoffproben und Moodboards an den Wänden, Bussitze stehen auf dem Boden und Werkzeug liegt herum. Die kreativen Köpfe des Designteams haben uns einen spannenden Einblick gewährt und uns vor allem ganz persönlich den Bus vorgestellt – mit all den individuellen Highlights. In dieser Werkstatt ist eine unglaubliche Innovation entstanden und wir freuen uns darauf, Teile des Future Bus in Zukunft auch in unseren Serienbussen zu sehen. Dann kann wirklich jede und jeder sagen: Ich muss nicht Bus fahren, ich möchte Bus fahren!

Hier können Sie das Design in Videoform entdecken: https://www.youtube.com/watch?v=iwZE1qwRr3I

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