Bus Rapid Transit in Deutschland?

Interview mit Richard Mejía, Leiter des BRT-Teams bei Daimler Buses

Im Jahr 2050 werden rund zwei Drittel der Menschen weltweit in Städten leben. Vor dem Hintergrund dieser fortschreitenden Urbanisierung sind nachhaltige Mobilitätslösungen gefragt, die Mensch und Umwelt möglichst nicht belasten. Eine große Herausforderung der Zukunft – Bus Rapid Transit-Systeme, die bereits heute in vielen Städten der Welt durch separate Busspuren einen umweltschonenden, schnellen Personentransport gewährleisten, zeigen jedoch auf, dass nachhaltiger Verkehr möglich ist. Trotz eines Staus in der Innenstadt sorgt Bus Rapid Transit, kurz BRT, für das zuverlässige Reisen von A nach B. „Rapid“ bedeutet dabei „schnell“ oder auch „rasch“ und weist daraufhin, dass der Bus wie die Bahn als schneller Verkehrsträger fungiert.

Nachhaltige Mobilitätskonzepte mit BRT gibt es inzwischen auf allen Kontinenten. Fortlaufend werden neue Strecken geplant und eingerichtet. 185 BRT-Systeme weltweit mit einer Beförderung von über 30 Millionen Fahrgästen täglich zählen Experten heute. In Istanbul erstreckt sich die BRT-Spur beispielsweise über insgesamt 52 Kilometer Länge und transportiert 750.000 Fahrgäste täglich. Auch Städte wie Amsterdam, Straßburg und Paris betreiben bereits ihr eigenes BRT-System.

Wir haben mit Richard Mejía, Leiter des BRT-Teams bei Daimler Buses, darüber gesprochen, was BRT-Systeme neben separaten Busspuren noch auszeichnet und warum sie als effiziente Nahverkehrssysteme auch für deutsche Städte großes Potential aufweisen. Außerdem verrät er uns, wie man BRT als ein wichtiges Wachstumskonzept der Zukunft mit anderen Innovationen, wie dem autonomen Fahren, verknüpfen kann und welchen Mehrwert das Reisen mit BRT den Fahrgästen liefert. 

Istanbul, Amsterdam, Paris… Warum ist Bus Rapid Transit (kurz BRT) in anderen europäischen Städten populär, wurde aber noch in keiner deutschen Stadt implementiert?

Grundsätzlich ist es in Deutschland noch so, dass einem als erster Gedanke immer noch die Schiene in den Sinn kommt, wenn man überlegt, die ÖPNV-Infrastruktur in größerem Rahmen auszubauen. In anderen Ländern dagegen, wie z. B. in Frankreich, wurden die Notwendigkeit und die Potentiale derartiger Systemansätze für den Bus früher erkannt als hier in Deutschland. Fakt ist, dass BRT-Systeme viele Vorteile bieten, die bei der Planung von Verkehrssystemen Berücksichtigung finden sollten. Diese Erkenntnis erhält nun auch langsam Einzug in der deutschen Verkehrsplanung.

Was sind die Potentiale für BRT in Deutschland?

Ein wesentlicher Punkt ist, dass BRT-Systeme sowohl innerorts als auch außerorts eingesetzt werden können. Dabei sind sie wesentlich kostengünstiger als die Alternativen auf Schienen. Innerorts kann ein BRT-System als hochwertige Ergänzung zum Schienenverkehr gesehen werden. Darüber hinaus ist BRT auch als eigenständige Alternative zu Schienensystemen möglich, als Rückgrat des städtischen Verkehrs sozusagen. Außerorts ist BRT sehr gut für Stadt-Umland-Verkehrssysteme geeignet, indem  hohe Zuverlässigkeit mit hoher Reisegeschwindigkeit erreicht wird. Ein weiteres Potential für BRT stellt die Reaktivierung stillgelegter Bahntrassen dar.

Gibt es Gegenden in Deutschland, für die BRT besonders geeignet ist?

Aufgrund ihrer Vielseitigkeit und Flexibilität sind BRT-Systeme sowohl in Metropolen als auch in kleineren Großstädten umsetzbar. Nach unserer Einschätzung und Erfahrung liegt die Untergrenze, ab welcher BRT-Systeme eingesetzt werden können, bei etwa 70.000 Einwohnern. Ludwigsburg wäre ein aktuelles Beispiel aus Baden-Württemberg für eine Stadt, die besonders geeignet wäre, um ein BRT-System zu implementieren. Hier ist seit Jahren eine Stadtbahn im Gespräch, deren Umsetzung allerdings als problematisch gilt. Neben den niedrigeren Kosten ist hier vor allem die gute städtebauliche Verträglichkeit bzw. die Integration von BRT-Systemen als Vorteil zu nennen. Gerade in einer Barockstadt wie Ludwigsburg spielt dieser Faktor eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Was muss eine Stadt beachten, wenn sie ein BRT-System implementieren will?

Wichtig ist ein systematischer Planungsansatz. Das heißt vor allem: separate Busspuren sowie konsequente Priorisierung an Ampeln. Pre-Ticketing und das Aufbauen eines Netzes moderner Haltestellen bilden die nötige Infrastruktur dafür. Außerdem müssen BRT-Linien mit den übrigen Angeboten des öffentlichen Nahverkehrs verknüpft werden, zum Beispiel mit „Park + Ride“- und „Bike + Ride“-Angeboten.

Welche Potentiale bietet für BRT-Linien bietet das (teil-)autonome Fahren  wie z. B. mit dem im Juli vorgestellten Mercedes-Benz Future Bus?

Teilautonomes Fahren von Bussen, wie es mit dem Future Bus auf BRT-Linien möglich ist, wird sowohl Betreibern und Fahrern als auch Fahrgästen und Städten insgesamt erhebliche Vorteile im täglichen Betrieb bieten. Die Betreiber werden sich über einen erheblich geringeren Kraftstoffverbrauch freuen können. Durch ein konstantes Beschleunigungs- und Bremsverhalten werden die Busse noch viel sparsamer unterwegs sein und zusätzlich auch den Fahrkomfort steigern. Zudem können Kosten für Bagatellschäden, wie zum Beispiel Reifenverschleiß, durch eine positionsgenaue Haltestellenanfahrt minimiert werden. Darüber hinaus erhöhen Kolonnenfahrten die Kapazität. Außerdem werden die Busfahrer erheblich entlastet, wenn das Fahrzeug in Zukunft in kritischen Situationen autonom verkehrt, beispielsweise bei engen Platzverhältnissen in Innenstädten. Das reduziert natürlich den Stressfaktor. Fahrgäste werden vor allem dadurch profitieren, dass durch autonom fahrende Busse Gefahrensituationen frühzeitig erkannt werden und somit Unfälle vermieden werden können. BRT macht Busfahren also sicherer. Außerdem wird ein barrierefreier Einstieg durch präzise Haltestellenanfahrten möglich gemacht – den höheren Komfort während der Fahrt habe ich ja schon erwähnt. Für Städte ergibt sich der Vorteil von enormer Verkehrsentlastung. Teilautonom  fahrende Busse werden außerdem praktisch spurgeführt und nehmen daher weniger Platz in Kurven in Anspruch. Die Verkehrssituation in beengten innerstädtischen Bereichen kann dadurch deutlich vereinfacht werden.

Welche anderen technischen Entwicklungen können wir in Zukunft erwarten?

Wenn wir über zukünftige Entwicklungen im Mobilitätsbereich reden, darf Elektromobilität natürlich keinesfalls fehlen. Gerade in Westeuropa, Skandinavien sowie in Nordamerika ist davon auszugehen, dass zukünftige BRT-Systeme mittelfristig ausschließlich elektrisch bzw. auf alternativen Antrieben basierend betrieben werden. Auch eine erweiterte und intelligente Vernetzung, beispielsweise zwischen Fahrzeugen, Signalanlagen und der Fahrbahn, kann in Zukunft erwartet werden.

Welchen Mehrwert bringt BRT für die Nutzer, also die Reisenden?

Zum einen spricht die Reisezeitersparnis für BRT. Es ermöglicht Fahrgästen, an Staus vorbei zu Ihrem Ziel gebracht zu werden. Die attraktiven Fahrzeuge, die speziell für BRT-Ansprüche designt werden können, erreichen nicht nur hohen Reisekomfort. In Verbindung mit modernen Haltestellen ergibt sich auch ein barrierefreier Ein- und Ausstieg. Außerdem bieten die Fahrzeuge über verschiedene digitale Stationen umfangreiche Fahrgastinformationen, wie z. B. Verbindungen zu anderen ÖPNV-Angeboten. 

Welche Voraussetzungen müssen seitens der Politik (Bund, Land, Kommunen) geschaffen werden, um BRT auch in Deutschland einzuführen?

Wichtig ist hier vor allem, dass vermehrt standardisierte Wirtschaftlichkeitsanalysen durchgeführt werden. Solche Studien gibt es für Schienensysteme bereits seit langem und jetzt ist die Zeit, auch BRT-Systeme entsprechend zu untersuchen. Zusätzlich sind mit Schienensystemen vergleichbare Förderbedingungen zu schaffen, um die Einführung von BRT-Linien für Städte und Gemeinden noch attraktiver zu gestalten.

Weiterführende Informationen

Wenn Sie mehr über BRT-Systeme erfahren wollen, erhalten Sie Informationen auf daimler.com. Lesen Sie auch die Eindrücke von einem Besuch der BRT-Linie in Straßburg mit Christoph Rethmann aus dem BRT-Team oder einen Erfahrungsbericht von Robert Möhring aus Straßburg.

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