Was Aristoteles über den Bus der Zukunft sagen würde.

Das Ergon-Argument von Aristoteles und die Frage nach einem „guten“ Bus-Design

Unattraktiv, zu voll, altmodisch. Das sind gängige Vorurteile, die gegen die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln wie beispielsweise Bussen angebracht werden. Gleichzeitig: Verkehrschaos in Innenstädten, Klimawandel und der Wunsch, Städte lebenswerter zu gestalten. Diese Gemengelage ergibt für uns Designer die Notwendigkeit, den Bus als öffentliches Verkehrsmittel immer wieder neu zu denken. Was die Philosophie von Aristoteles mit dem künftigen Design eines Busses zu tun hat, lerne ich von Sarah Brehmer, Felix Beißel und Philip Khosh von der Universität Bayreuth. Sie haben den Brückenschlag zwischen antiker Philosophie und moderner Technologie gemacht. Denn wir Designer lassen uns gerne auch von unkonventionellen, querdenkerischen Ansätzen inspirieren, um das Design des Busses neu zu denken. Grundlage ihrer Argumentation ist das berühmte Ergon-Argument von Aristoteles. 

Grundlage der Argumentation: Das Ergon-Argument von Aristoteles

Nach dem Ergon-Argument von Aristoteles muss ein Mensch, um ein guter Mensch zu sein, seine spezifische Funktion, sein ergon, gut erfüllen. „Wo Dinge ihrer Art eine spezifische Funktion (ergon) haben, reden wir davon, dass sie diese Funktion besser oder schlechter erfüllen, und wo ein Ding die Funktion gut erfüllt, nennen wir es ein gutes Ding seiner Art (…).“ Es gibt also viele Dinge einer Art, die eine spezifische Funktion erfüllen (z. B. es gibt viele Ärzte angehörig der Art Arzt, die die Funktion ‚heilen‘ erfüllen). Alle Dinge dieser Art erfüllen ihre spezifische Funktion besser oder schlechter. Wenn ein Ding seine Funktion sehr gut erfüllt, ist es ein gutes Ding seiner Art.

Aber wann ist ein Mensch ein guter Mensch? Welches Ziel sollte er in seinem Handeln anstreben? Nach Aristoteles ist dies das Glück (eudaimonia). Der Mensch ist dann gut, wenn er seine spezifische Funktion (nach ihm ist es die Vernunftsfähigkeit) so ausübt, dass er die größte Glückseligkeit erreicht. Und die spezifische Funktion (ergon) könne dann identifiziert werden, wenn erkannt wird, was für den Menschen einzigartig ist.

Ergon des Busses: Flexibilität und öffentlicher Raum

Übertragen auf den Bus heißt das – insbesondere in Abgrenzung zu anderen Verkehrsmitteln: Das Einzigartige und damit auch seine spezifische Funktion (ergon) liegt in seiner Flexibilität und seinem öffentlichen Raum. Busse sind im Vergleich zu anderen öffentlichen Verkehrsmitteln, wie z. B. der Bahn, prinzipiell flexibel, da sie an keine Schienen gebunden sind. Im Vergleich zu individuellen Verkehrsmitteln, wie z. B. dem Auto, zeichnen sie sich dadurch aus, dass sie öffentlich zugänglich sind und eine größere Anzahl an Menschen mitfahren kann, d. h. soziale Begegnung möglich ist. Das ergon eines Busses ist demnach – kurz gesprochen – ein flexibler öffentlicher Raum zu sein. Um ein „guter“ Bus und damit wettbewerbs- und zukunftsfähig zu sein, muss ein Bus sein ergon gut erfüllen. Er findet also den optimalen Kompromiss zwischen beiden Eigenschaften.

Erfüllt ein Bus seine spezifischen Funktionen bereits gut?

Betrachtet man den Bus, sieht man ein flexibles Verkehrsmittel, das seine Routen und Ziele mühelos verändern kann, sofern es die Infrastruktur erlaubt. Trotzdem ist er an feste Fahrpläne, vorgegebene Routen und Bushaltestellen gebunden. Gerade die heutige Zeit bietet unzählige Möglichkeiten und effiziente Systeme, um die Flexibilität zu erweitern. Daraus kann man schließen, dass der Aspekt der Flexibilität noch nicht optimal ausgeschöpft ist.

Dadurch, dass der Bus im ÖPNV der Öffentlichkeit zugänglich ist und Menschen im Bus zusammenkommen können, ist der Bus ein öffentlicher Raum. Herkömmliche Linienbusse wirken aber oft nicht besonders einladend; er könnte beispielsweise einladender gestaltet werden, damit man sich dort gerne aufhält. Der Aspekt des öffentlichen Raumes ist daher ebenso nicht optimal. Also erfüllt der Bus derzeit beide Aspekte – die des öffentlichen Raumes und der Flexibilität – noch nicht gut und Verbesserungspotential besteht.

Um das Potential, das seine spezifische Funktion bietet, voll auszuschöpfen, sollte ein Bus beide Aspekte gut erfüllen: Aus der Flexibilität und dem öffentlichen Raum muss das Beste herausgeholt werden. Dazu ziehen die Studierenden den aristotelischen Gedanken der goldenen Mitte heran: Die goldene Mitte findet sich zwischen Überfluss und Mangel. D. h. dort, wo ein Ding bei der Erfüllung seiner spezifischen Funktion nicht defizitär ist, aber auch nicht über ihr Ziel hinausschießt.

Lösungen, um den Bus einladender und kommunikativer zu gestalten

Ansatzpunkte von Felix Beißel, Sarah Brehmer und Philip Khosh sind: Der öffentliche Raum sollte die Interessen der Passagiere stärker widerspiegeln und als ein hub für die Menschen ausgestaltet werden. Neben dem Pendeln von A nach B kann der Bus auch als Inspirationsquelle dienen. Auch eine Mitgestaltung könnte den Bus attraktiver machen. So könnte der Bus als Plattform aufgefasst werden, auf der sich Menschen austauschen können. Beispielweise können hierfür Displays angebracht werden, auf der sich Passagiere in Form von Gedichten, Bildern oder Gedanken ausdrücken können. Gleichermaßen können diese auch Informationen oder Werbung anzeigen. Aktuelle Linienbusse beispielsweise transportieren derzeit keinerlei Identität oder Inspiration. Für das Design heißt das: eine entspannende, anregende, kommunikative und einladende Atmosphäre schaffen, zugeschnitten auf die Bedürfnisse der Passagiere. Ein Stadtbus kann durch den Einsatz von Waldmotiven der Knappheit von Natur in der Innenstadt entgegenwirken. Oder andererseits soll ein Raum geschaffen werden, wo Menschen miteinander in Verbindung treten können, um das Pendeln angenehmer zu machen. So kann durch (Kaffee-)Lounges, Essensbereiche oder Präsentationsräume ein Forum für sozialen Austausch geschaffen werden.

Lösungen, um den Busbetrieb flexibler zu gestalten

Und wie könnte man die Flexibilität des Busses verbessern? „Die Bayreuther Philosophy & Economics-Studierenden laden zu einem Gedankenexperiment ein: Der Bus fährt wie gewohnt auf seiner festen Route, aber die stationären Bushaltestellen entfallen. Mit einer Applikation auf dem Smartphone können Passagiere nun mit dem Bus-System kommunizieren, ihren Standort und ihr Ziel angeben. Da es schwierig wäre, jeden Mitfahrer einzeln einzusammeln, ermittelt ein Algorithmus den optimalen Zustiegsort für alle Passagiere. Diesen werden der Abfahrtsort und die dazugehörige Zeit angezeigt und am Zielort dann ein Ausstiegshinweis. Mit diesem oder einem vergleichbaren System. Ganz nebenbei würde dadurch eine Art Kollektiv geschaffen, da die neuen Haltestellen als Konsens ermittelt werden.

Weiterhin schlagen die Bayreuther Studierenden ein Baukastenprinzip vor, um die Bedürfnisse der ÖPNV-Nutzer eines jeden Verkehrsbetriebes zu befriedigen. So wird ein Bus niemals eine endgültige Identität haben, sondern kann sein Raumkonzept ständig ändern. Die Idee ist, sowohl Standard- als auch Spezialmodule anzubieten. Busse, die zum Pendelverkehr dienen, sollten nicht viele Sitzbereiche aufweisen. In anderen Szenarien könnte es Module für ältere oder individuell beeinträchtigte Personen oder ganze Lounges geben, die ein komfortables Sitzen ermöglichen. Je nach Bedürfnis können diese Module beliebig getauscht und verändert werden, was wortwörtlich Raum für Innovationen schafft.

Ergon-Argument setzt den Fokus auf das Wesentliche

Für mich als Designer liefert das Ergon-Argument sehr gute Hinweise zur Designentwicklung im Allgemeinen, aber auch im Spezifischen zum Bus. Und das unterstreicht den grundsätzlichen Nutzen dieses Ansatzes. Aufgrund der Verkehrssituation und grundlegender Umgestaltung der Städte um z. B. die Lebensqualität zu erhöhen, werden wir automatisch neue Nutzer gewinnen. Dabei gilt es, deren Bedürfnisse zu erkennen und zu erfüllen. Der Gewinn neuer Nutzer und Erfüllung von Erwartungen der neuen Nutzer sind duale Ereignisse.

Flexibilität und die Gestaltung des Innenraums sind zentrale Ansatzpunkte für das Busdesign der Zukunft. Unterschiedliche Bedürfnisse verlangen differenzierte Busangebote. Künftig können sich demnach Gefäßgrößen je nach Ort und Nutzung deutlicher unterscheiden. Die Zeit des Aufenthalts im Bus soll nicht nur Transport, sondern Vergnügen sein – im Idealfall wird eine Busfahrt nicht als verlorene Zeit aufgefasst. So spiegeln Busse der Zukunft viel mehr als bislang das Private wider – sie sind Lebensraum.

Ganz herzlichen Dank an Felix Beißel, Sarah Brehmer und Philip Khosh von der Universität Bayreuth für diesen inspirierenden und spannenden Beitrag! Sie haben diesen im Rahmen eines Think Tanks des Studiengangs Philosophy & Economics und Daimler Buses ausgearbeitet.

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